Jetzt! Bereit oder nicht? Ich werde nach unten gezogen. Ich fühle mich wie versteinert, bleiern und furchtbar müde. Meine Muskeln schmerzen. Ich lieg im Bett, kaum dazu im Stande aufzustehen. Der Morgen und die Schwere meines Körpers nach meinem ersten Bahntraining von runninGraz sind mir noch sehr lebhaft in Erinnerung. An diesem Morgen spürte ich nur jeden erdenklichen Muskel und hatte große Mühe überhaupt aus dem Bett zu kommen. Seitdem wurde der ein oder andere Kilometer gelaufen. Mal schnell, mal langsam. Bergauf wie bergab. Bei Sonne und Regen. Selten auf der Straße am liebsten in der Natur auf chaotischen Waldböden, auf steile Berge, mit einer Neugierde die einen vorantreibt. Die Faszination des Laufens, eigentlich des langen Laufens (Ultra) brachte mich dazu Altbekanntes hinter mir zu lassen. Einen Impuls zu folgen der mich noch heute täglich motiviert um raus zu gehen und das zu machen was ich so sehr liebe und in den letzten Jahren Teil meines Lebens wurde. Laufen. Diese Faszination ist es auch, die mich nach Fuschl am See und zum Mozart-Ultratrail brachte um an meinem ersten (abgesehen vom katastrophalen Versuch beim Burgenland Extrem und der anschließend schrecklichsten Busfahrt meines bisherigen Lebens) Ultratrail mit 75 Km und 3.800 positiven Höhenmetern teilzunehmen. Teilnehmen um zu erfahren und zu spüren, wie es sich anfühlt, weiter zu laufen als jemals zuvor.

Man könnte sagen es ist angerichtet! Die Vorbereitungen für mein Vorhaben verliefen ganz gut. Auch wenn 2-3 lange Läufe in den Beinen sicher kein Nachteil gewesen wären bin ich für mein Vorhaben überaus zuversichtlich (der Gedanke es möglicherweise nicht zu schaffen existiert in meinen Überlegungen nicht). Ich bin ausgeruht und frisch und das Wichtigste, ich habe große Lust zu laufen und mehr noch eine Ungeduld und Vorfreude in mir, die sehr beruhigend wirkt. Keine pausenlosen Grübeleien an die Anstrengung, die vielen Kilometer oder an mögliche und unangenehme wie unvorhersehbare Ereignisse die möglicherweise auftauchen könnten. Ich bin guter Dinge und auf alles gefasst. Ein detailliertes Konzept wurde zurechtgelegt und Gedanken wie Entscheidungen über das Wie, Wann und Warum getroffen. Wann geht es bergauf/bergab, wann kann ich schneller laufen und wann besser zu Fuß gehen. Was werde ich an Verpflegung brauchen? Wann sollte ich beginnen zu essen? Wann zu trinken und was? Welche sind die wichtigsten Anzeichen auf die ich achten muss um meinen Körper nicht zu überlasten und ihm die Möglichkeit zu geben volle Leistung zu bringen? Diese und mehr Fragen habe ich mir wohlüberlegt beantwortet. Die Unterkunft 5 Gehminuten vom Start entfernt gab mir die Möglichkeit in aller Ruhe und ohne Hektik zu frühstücken (Müsli von Zuhause mitgebracht – sicher ist sicher), sich anzuziehen und abermals die Pflichtausrüstung zu kontrollieren. Passt alles? Also los.

Alles noch ruhig? Viele Gedanken, die meisten der letzten Woche, haben sich um das Laufen und den Mozart Ultra gedreht. Jetzt, kurz vor dem Start ist mein Kopf leer. Die Situation am Start wirkt auf mich sehr unspektakulär, schon fast langweilig. Ich wärme mich auf. Etwas zumindest. Zurzeit ist es noch kühl. Die Nebelschwaden hängen in der Luft und umkreisen die Berge. Vergleichbar mit dem Nebel der alles verhüllt und verschwinden lässt, verschwinden meine Gedanken darüber, wie lange ich bald laufen werde. Ganz kann ich nicht fassen oder begreifen was es heißt hier am Start zu stehen und diese 75 Kilometer zu laufen. Eins jedoch ist mir sicher. Ich werde Spaß haben, Freude am Laufen, und die Anstrengung begrüßen wenn sie mir begegnet. Unbedeutend, bestenfalls zweitrangig werden die zahlreichen Gedanken an die Zeit oder die mögliche Platzierung sein.

Die Strecke. Das Starterfeld des Mozart Ultras setzt sich in Bewegung. Die ersten flachen Kilometer führen uns über Asphalt Richtung Berge. Bei Kilometer 45 werden wir abermals Fuschl am See passieren um es im Anschluss Richtung Salzburg zu verlassen. Wahrscheinlich nicht mehr ganz so fit wie jetzt aber immerhin schon mit der Aussicht auf das Ende und dem Zieleinlauf im schönen Salzburg. Die Strecke verläuft zunächst über die Schafbergalm und das Zwölferhorn mit je 800 positive Höhenmeter. Als Draufgabe 4 hintereinander folgende Hügel zu je 100 Höhenmeter.

Start. Was ist das Wichtigste bei einem Lauf von 75 Kilometern? Richtig! Die ersten 200 Meter. Und so hechten einige wenige weg als würden sie gerade versuchen, Jim Walmslys Rekordlauf des Western State 100 zu unterbieten. Ich werde überholt und wünsche ihnen Glück. Immer mehr Läufer*innen ziehen an mir vorbei. Sollte ich mir darüber Gedanken oder Sorgen machen? Sollte ich auch mein Tempo erhöhen? Ich glaube nicht! Eher wirkt der Umstand überholt zu werden, aufgrund der Gewissheit mir jetzt gerade über ein zu langsames Tempo keine Gedanken machen zu müssen, sehr beruhigend auf mich. Nach drei Kilometern geht es das erste Mal Bergauf. Noch nicht sehr steil aber zusehends steiler. Üblicherweise würde ich in so einem Moment laufen bis mir die Oberschenkel brennen. Aber da ich nicht bei einem kurzen Berglauf in Graden oder am Zirbitzkogel bin, eindeutig und ohne Überlegung der falsche Zeitpunkt. Ich halte mich zurück. Ich beginne zu gehen. Ein Grundsatz der mich gut durch das Rennen bringen wird ist: bergauf gehen (wenn auch schnell), bergab fliegen. Das dem Zustand innewohnende Gefühl des Fliegens wird mit Andauern des Laufens mit gewisser Wahrscheinlichkeit nicht endlos zu halten sein. Der Vorsatz jedoch, mir eine gewisse Frische und Leichtigkeit so lange wie möglich zu erhalten kommt auch hier zum Vorschein. Also, Punkt eins: Cool bleiben und weiter.

Ich schließe zu einer Dreier-Gruppe auf. Noch immer geht es bergauf. Steiler! Jetzt gerade sehr steil. Meine Laufstöcke, die ich in weiser Entscheidung bei mir habe kommen zum Einsatz und sind für dieses steile, verblockte Gelände in denen sich verwurzelte und abschnittsweise felsig, steinige Singletrails abwechseln, Gold wert. Zum einen werden durch die Kraft der Arme und der Möglichkeit des sich nach oben Ziehens die Oberschenkel entlastet. Zum anderen bieten die Stöcke die Option des Abstützens und der Stabilisation des Oberkörpers. Dies wiederum bedeutet weniger Energieverlust.

Untergründe. Sie werden mir begegnen mich verzaubern und begeistern, versuchen mich zum Anhalten zu bewegen, stehen zu bleiben und Fotos zu machen oder zu verschnaufen. Ich werde sie herbeisehnen und verfluchen. Ich werde über verschiedenste Waldböden laufen. Untergründe in ihrer unterschiedlichsten Beschaffenheit. Trocken, glitschig, weich, schlammig, hart und steinig, gerade, verblockt, unwegsam und schier unlaufbar. Später im Verlauf des Rennens weiß ich, dass auch asphaltierte Abschnitte einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern können. Einer der mit den zahlreichen Untergründen bestens zu Recht kommt, ist der Cloudultra. Der Schuh von ON sitzt wie eine Socke sehr angenehm am Fuß. Gedämpft? Ja! Jedoch kein Luftkissenboot das alles niederbügelt und den Untergrund einen nur erahnen lässt. Niemals zu direkt oder zu weich, macht der Cloudultra großen Spaß. Man steht sicher im Schuh. Der Halt gibt einem Sicherheit auch in schwierigem Gelände. Einzig der Grip auf nassen Belegen und Untergründen könnte noch verbessert werde. Hier stößt er manchmal an seine Grenzen. Nasse Steine und Wurzeln mag er nicht. Großartig und tolle Idee ist das FlipRelease Tool mit deren Hilfe man den Schuh im Vorfußbereich wahlweise enger oder weiter machen kann. Super wenn es gerade bergab geht. Eine Bewegung und der Schuh sitzt näher am Fuß. Cool!

Nach der ersten Bergbezwingung und fast 800 gelaufenen Höhenmetern geht es bergab. Logisch. Die Dreiergruppe hat sich bereits aufgelöst. Ein Läufer liegt noch vor mir. Gemeinsam (in naher Zukunft werden wir uns besser kennenlernen und den ein oder anderen Kilometer gemeinsam laufen) kommen wir zur ersten Verpflegungsstation, an der wir sehr herzlich empfangen werden. Es wird getrunken und die Trinkflaschen die ich nicht ganz üblich am Trinkrucksack fixiert habe um mir das mühsame herausnehmen und anschließende wieder hineindrücken in die dafür vorgesehene Halterung zu ersparen, nachgefüllt. Ich entscheide mich sozusagen gegen die Fummelei und für meine Nerven. Verschlusskappe abschrauben, nachfüllen und wieder verschließen. Fertig. Als Trinkrucksack habe ich mich für den Salomon Adv Skin 5 Liter entschieden. Seine große Anzahl an Verstauungsmöglichkeiten (mehr als man bei 5 Litern vielleicht vermuten möchte) wie sein komfortables Tragegefühl machen ihn zur richtigen Wahl für lange Läufe. Auch Laufstöcke kann man wahlweise links und rechts am Körper oder am Rücken befestigen.

Die ersten 9,2 Kilometer liegen hinter uns und vor uns der erste Abschnitt mit 5,6 Kilometern Länge in dem es zur Abwechslung bergab geht. 1000 negativen Höhenmeter sind zu bewältigen. Steil, meistens sehr steil. Noch kommen wir gut voran. Die Beine machen ihre Arbeit und wollen laufen, die Anstrengung ist gering, der Puls weit unten. Wieder eine richtige Entscheidung die für spätere bergab Passagen von Vorteil sein wird. Also auch hier eher gemächlich. Kein sich kaum den Boden berührendes fallen lassen um mit hoher Geschwindigkeit ins Tal zu stürmen.

Zeit zum plaudern. Jetzt zwischen Kilometer 9,2 bis 28,5 (es geht wieder bergauf) laufe ich gemeinsam mit Michael. Michael und ich verstehen uns von Anhieb an. Über Unterschiedlichstes wird geredet und die Zeit bzw. die Kilometer streichen dahin. Michael hat einen ähnlichen Werdegang wie ich. Ein ungesunder Lebensstil (zu viele Nächte in verrauchten Lokalen mit Bier und Zigaretten) in dem Bewegung ein Fremdwort ist, kommt ihm die Idee, einmal etwas anderes zu versuchen. Er beginnt zu laufen. Zuerst nur kurz dann länger. 10 Kilometer, 20 und bald Marathon. Die Neugierde auf das was möglich ist verleitet ihn zur Anmeldung am Mozart Ultra. Irgendwann wird es mir zu langsam und ich verabschiede mich von Michael nichtsahnend, dass wir uns an diesem Tag noch öfter über den Weg laufen werden und das ein oder andere Wort wechseln.

Verlaufen macht den Weg meist nicht kürzer. Nach einem wunderschönen Abschnitt über einen Berg in der Größenordnung Plabutsch, geht es abermals entlang des wunderschönen Wolfgangsees mit seinem türkis funkelnden Wasser Richtung St. Gilgen. Die zwei Verpflegungsstationen die im Laufe des Rennens zweimal passiert werden müssen. Verpflegungstechnisch ist alles vorhanden und die freiwilligen Helfer*innen unglaublich freundlich und hilfsbereit. Ich lass mir Zeit, trinke in Ruhe. Neben mir steht ein Läufer! In der Hand ein alkoholfreies Bier. Dem Anschein nach hat er keine Eile. Es wird genossen, die Atmosphäre aufgesaugt, die Menschen beobachtet die zahlreich hinter den Absperrungen stehen. Die wiederum beobachten die Läufer in den Verpflegungsstationen und jubeln einem zu. Der noch zu laufende Weg bis ins Ziel wird durch längere Pausen meist nicht verkürzt und so wird noch schnell eine Kleinigkeit gegessen die Trinkflaschen nachgefüllt und weiter (ein Stück Banane und einige Soletti).

Michael war schneller und hat die Verpflegungsstation bereits verlassen. Ich hole ihn beim nächsten Anstieg ein und bald bin ich auch wieder alleine auf dem Trail. Kurz bergab und ich bleibe stehen um meine Schuhe nachzuschnüren. Im Grunde eine gute Idee, wäre ich nicht für einen Augenblick unachtsam gewesen. Ich stoppe, binde mir die Schuhbänder, mein Blick gerade, richte ich mich auf und renne weiter. Links von mir hängt eine von 1000 gelben Plastikschleifen die als Markierungen an zahlreiche Bäume und Sträucher befestigt wurden. Manchmal doppelt und dreifach. Ich renne vorbei. Nach 300 Metern bergab und abermals Richtung St. Gilgen werde ich stutzig. Bis jetzt war alles sehr gut markiert und alle 200 Meter ein Wegweiser, ein Zeichen, ein Hinweis. Ich drehe um und siehe da, weiter oben sehe ich eine Gestalt im Wald verschwinden. Dann noch eine. Wahrscheinlich Michael. Okay. Dann zurück bergauf und weiter. Überraschenderweise denke ich nicht an die verlorene Zeit und finde schnell meinen gewohnten Rhythmus. Ich denke an Fuschl am See, dem Ausgangspunkt des Rennens. Nicht mehr all zu weit. Nach 2-3 Kilometern gehe ich an Michael vorbei und laufe mit einem Vorsprung von circa 5 Minuten in Fuschl am See ein.

Wieder einige wieder. Wieder lass ich mir an der Verpflegungsstation Zeit. Michael ist wieder schneller. Er startet 30 Sekunden vor mir. An einem Brunnen wasche ich mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Mittlerweile steht die Sonne hoch am Himmel und es ist recht heiß geworden. Weiter geht es immer den Markierungen nach. Mein Gehirn denkt sich etwas anderes und so laufe ich zum wiederholten Male eine Ehrenrunde. Wenn es doch so schön ist denke ich mir in diesem Moment leider nicht. Also wieder zur Verpflegungsstation und auf null stellen. Beim zweiten Anlauf nehme ich den richtigen Weg. Unglaublich wie ich das übersehen konnte. Ärger? Etwas! Aber auch dieses Mal stecke ich meinen Aussetzer gut weg. Michael werde ich für die nächsten 10 Kilometer nicht mehr sehen und so laufe ich alleine weiter.

Das Rennen beginnt nach Kilometer 45. Die ersten 45 Kilometer haben mich nicht zu interessieren. So oder so ähnlich war mein Plan. Die Beine werden langsam schwerer und beginnen leicht zu schmerzen. Die anfängliche Frische ist nicht mehr auszumachen und ich immer mehr gefangen in meiner eigenen Blase. Keiner da zum reden. Leichte Monotonie umgibt mich. Ich finde diesen Zustand gut. Die Gedanken verabschieden sich um es sich irgendwo im letzten Winkel meines Gehirns gemütlich zu machen. Herrlich! Laufen, trinken, in Bewegung bleiben und hin und wieder essen. Energie ist wichtig! Hab ich genug getrunken?

Verpflegung. Das Konzept von Beginn an zu essen, zu trinken und dem Körper genug Energie zuzuführen und bereitzustellen, hatte ich mir wohl durchdacht zurechtgelegt. In der Vergangenheit habe ich beobachtet, dass mein Appetit auf Essen nach ca. 3 Stunden laufen kaum bis nicht mehr vorhanden ist. Nach 3 Stunden nicht unbedingt ein Problem. Nach 6 Stunden Bewegung und mehr sehr wohl. Sich nur von Gels zu ernähren war für mich keine Alternative da diese Art der Verpflegung mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu Übelkeit führen wird. Deswegen hin und wieder einen Bissen essen. Festes Essen wie einen Riegel, Soletti, Banane oder Wassermelone. Wichtig! Wenn möglich bergauf essen. Kauen kann viel Zeit und Luft beansprucht. Also ruhig das Tempo drosseln, Luft holen und kauen. Danach ein Schluck Wasser. Passt! Ohne Energiezufuhr ist das Ende bald erreicht und das Werk der Verwünschungen nimmt seinen Anfang. Beim Trinken verhält sich die Lage ähnlich.

Richtung Salzburg dem Ziel entgegen. Ich bewege mich. Laufe! Zwinge mich dazu nicht zu gehen. Bewegen, bewegen, bewegen. Stehenbleiben ist keine Alternative. Ich beginne mir meinen weiteren Weg einzuteilen. Das Ziel (Salzburg) wird vergessen, ist unwichtig, kommt näher, solange ich mich bewege. Ob gerade, bergauf oder bergab spielt keine Rolle. Wichtig sind für mich nur die nächsten 10 Minuten. 10 Minuten sind greifbar. Lassen einen nicht verzweifeln und verleiten einen nicht zu Überlegungen, die zum gegebenen Zeitpunkt völlig zweitrangig sind. Nach 10 Minuten kommen wieder 10. Und so weiter. Es ist total leicht!

Immer wieder kommt es zu kürzeren Gegenanstiegen zwischen 50-100 Höhenmetern. Die Landschaft ist traumhaft und wunderschön. Die Downhills werden immer mehr zur Hölle. Kein fliegen mehr, kein dahinschweben. Stattdessen Schmerzen wie Nadeln die einem die Oberschenkel durchbohren. Wenn es wenigstens über Forststraßen bergab gehen würde. Stattdessen wird jetzt vermehrt über Stiegen gelaufen. Zuerst nur vereinzelt, dann zahlreich. Zuerst bergauf, dann bergab. Der Nockstein liegt vor mir. Der Letzte längere Anstieg vor Salzburg. Ich ziehe mich nach oben. Mit aller Kraft! Meine Laufstöcke erweisen mir ihren Dienst. Kein Abstützen außer den eigenen Oberschenkeln zur Verfügung zu haben erschreckt mich gerade. An dieser Stelle eine klare Empfehlung für lange und steile Läufe: Stöcke. Am besten zwei davon.

Wo bin ich stehen geblieben? Ach ja! Stiegen. Mal aus Holz, mal aus Stein. Hin und wieder aus Metall. Hohe und niedrige Stufen. Hundert, ja tausend Stufen tripple ich in kleinen Schritten geschmeidig nach unten Richtung Verpflegungsstation. Der Nockstein liegt hinter mir und vor mir die letzten 5 Kilometer. Noch ein schnelles Gel und etwas Wasser und nach einigen Sekunden des Verschnaufens geht es weiter. Jetzt nochmals alle Energiereserven mobilisieren.

Nur mehr der Kapuzinerberg liegt zwischen mir und dem Ziel. Als ich die letzte Verpflegungsstation verlasse sehe ich plötzlich einen Läufer. Jetzt so kurz vor Ende lasse ich mich nicht mehr überholen. Der Entschluss steht fest! Also heißt es noch einmal pushen und kämpfen. Ich erhöhe mein Tempo in klarer Voraussicht, noch genügend Reserven für einen schnellen Downhill und die anschließenden letzten flachen Kilometer durch die Stadt ins Ziel zur Verfügung zu haben. Hinter mir ist niemand. Kurz vor dem Gipfel frage ich jemanden ob es noch weit nach oben ist. Er bittet mich in Englisch zu sprechen. Unfähig einen richtigen Satz zu formen frage ich ihn „is it long“. Englisch war noch nie meine Stärke. Lange Läufe über Berge tragen allem Anschein nach nicht dazu bei dies zu ändern. Jetzt lauf ich bergab. Vergesse alles. Vorstellungen, Vorsätze, die letzten gelaufenen Kilometer, die Anstrengung und Mühe. Wieder Stufen doch mit dem Unterschied, das ich nicht tripple sonder fliege. Endlich wieder. Es geht ja doch noch. Ich lass es laufen. Nehme nur jede zweite Stufe, beschleunige und mache Tempo, Tempo, Tempo. Durch die Stadt Richtung Kapitelplatz. Tourist*innen schauen komisch. Ich laufe durch die Gassen. Keine Anzeichen eines Rennens. Ich werde Richtung Ziel dirigiert. Freiwillige Helfer*innen stehen mit Warnwesten an der Strecke und leiten mir den Weg. Fast wäre ich wieder falsch gelaufen. Markierungen kann ich keine mehr ausmachen. Die letzte Abbiegung und ich bin im Ziel. Natürlich mit Zielsprint. Man möchte ja, obwohl alles andere als der Fall, noch eine gute Figur abgeben. Das Foto, von meiner lieben Freundin Hanne kurz vor meinem Zieleinlauf gemacht, zeigt schonungslos meinen inner- wie äußerlichen Zustand. Tief in meinem Gesicht vergraben und eingebrannt hat sich die Erschöpfung. Schon fast verzweifelt sind meine Gesichtszüge. Die Leichtigkeit ist verschwunden irgendwo auf den letzten 75 Kilometern. Jetzt nur mehr ein paar Schritte. Ich bin im Ziel. 10 Stunden und 23 Minuten bedeuten Platz 8 bei den Männern. Platz 9 Overall.

Tränenfreuden Fehlanzeige. Nach dem Zieleinlauf lasse ich mich fallen. Sitz am Asphalt im Zielbereich. Die Hände stützen meinen Oberkörper. Schuhe werden ausgezogen. Oft liest man ja von großen und unbeschreiblichen Momenten der Freude die von Läufer*innen erlebt werden. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht wird meist durchs Ziel gelaufen. Ich bin nicht der Typ dafür. Mir ist schlecht, übel und ich bin kurz vorm Kollaps. Für ein Lächeln reicht es gerade nicht. Dafür bin ich zu schnell gelaufen. Hab auf den letzten Metern noch alles mobilisiert was vorhanden war.

Wie weiter. Nach 10 Minuten kommt der nächste Läufer ins Ziel vor dem ich die letzten Kilometer über den Kapuzinerberg geflüchtet bin. Nach 30 Minuten geht es mir besser. Ich unterhalte mich noch mit einem Ehepaar über das Laufen und gratuliere Michael zu seinem Lauf. Michael ist 25 Minuten später ins Ziel gekommen und wird an diesem Tag 2. seiner Altersklasse. Super! Ich freu mich für ihn.

Fazit: sehr schöner und toll organisierter Lauf. Die Startnummern Abholung war sehr stresslos und alle Helfer*innen superfreundlich und zuvorkommend, sowohl am Tag vor dem Rennen beim Racebriefing wie Tags darauf entlang der Strecke und an den Verpflegungsstationen. Ich finde den Mozart Ultra als ideale Strecke sich im Ultra-Traillauf zu probieren. Tolle Abschnitte in technischem Gelände dabei jedoch niemals zu schwer. Immer auch die Möglichkeit Tempo zu machen und zu Laufen, wenn Energie vorhanden.

2 Tage später kann ich schon wieder normal gehen und mache bereits Pläne für nächstes Jahr. Vielleicht wird es ja der Mozart 100 mit seinen 108 Kilometern und fast 5.000 Höhenmetern. Oder aber auch der Großglockner Ultratrail. Noch länger noch brutaler! Wenn schon dennschon. Italien mit dem Lavareto Ultratrail oder der legendäre Transvulcania auf La Palma faszinieren und begeistern mich ungemein. Ich habe sozusagen Blut geleckt. Die Möglichkeiten sind unendlich und 1000 fach vorhanden. Das nächste jedoch das ich mir vorgenommen habe ist der Marathon in Graz und die Österreichische Staatsmeisterschaft im Crosslauf organisiert und veranstaltet von runninGraz. Wieder zwei Läufe! Wieder sehr unterschiedlich. Wieder sehr spannend.

Ich bin motiviert voller Freude und gespannt was da noch kommt…